Die ewige Diskussion um Stimmung und Notation

In früheren Zeiten schrieben Komponisten nicht in verschiedenen Tonarten. Damals hatten die Blasinstrumente noch keine Ventile, sie konnten nur ihre jeweiligen Naturtöne einschließlich einiger Obertöne spielen, und wenn ein Stück höher oder tiefer erklingen sollte, musste man eben von der Trompete in C-Stimmung auf eine Trompete in höherer oder tieferer Stimmung wechseln. Erst später wurden Trompeten mit Ventilen entwickelt, auf denen man in allen Tonarten spielen kann. Seit ca. 1830 existiert die heutige Bauform und seitdem ist sie normalerweise ein transponierendes Instrument, d.h. ausgehend von der "Grundtonart C" klingt eine Trompete in B-Stimmung (die heute im deutschen Sprachraum übrigens sehr verbreitet ist) einen Ganzton tiefer als notiert, eine D-Trompete einen Ganzton höher als notiert. Lediglich C-Trompeten klingen genauso, wie sie notiert sind. So spielen Militärkapellen, Feuerwehrkapellen, Schulorchester und Musikschulen seit alters her auf transponierenden Instrumenten. Damit die Instrumente mit den verschiedenen Grundstimmungen harmonisch zusammenklingen, bekommt jedes Instrument seine zu spielende Stimme in der jeweils erforderlichen Tonart notiert. So weit, so gut. Doch dann kam Johannes Kuhlo.

Posaunenpastor Johannes Kuhlo setzte in den Posaunenchören ebenfalls auf Instrumente in B-Stimmung, aber er führte eine in der Welt der Blechbläser einzigartige Verbindung von Griff- und Schreibweise ein: Er hat die Stimmen klingend notiert (klingend heißt, dass ein C auch tatsächlich erklingt, wenn ein C gespielt wird, wie bei einem Klavier oder einer Orgel), und zwar für alle Stimmen! Posaunenchorbläser spielen also nicht mehr transponierend. Und: sie spielen aus Partituren - sie sehen also nicht nur ihre eigene Stimme, sondern haben einen Überblick über alle Stimmen. Folge: Ein Posaunenchor ist wirklich ein in sich geschlossener Chor. Er singt mit den Instrumenten. Es gibt Sopran, Alt, Tenor und Bass mit eventuellen Stimmteilungen. Vier Bläser genügen als Minimum, nach oben sind die Grenzen offen.

Das Spielen der C-Notation, auch Klavierschreibweise genannt, hat den Vorteil, dass alle Stimmen -Sopran und Alt im Violinschlüssel, Tenor und Bass im Bassschlüssel- ohne große Probleme auch Noten für Vokalchöre, Klaviere oder für Orgel benutzen können. Die dahinter steckende Idee ist aus ihrer Entstehung in sich schlüssig: Posaunenchöre sollten aus den in den Gemeinden oft ohnehin vorhandenen Chorbüchern oder dem Orgelchoralbuch spielen können. Es passt zur ursprünglichen Aufgabe, die singende Gemeinde im Gottesdienst zu begleiten. Außerdem können die einzelnen Bläser beim Partiturspiel das ganze musikalische Geschehen überschauen und bei Bedarf zwischen den Stimmen springen. Auf diese Weise sind klangliche Varianten mit einfachen Mitteln zu erreichen. Sicher wurde schon so mancher Vortrag gerettet, weil ein routinierter Spieler einer weniger sicheren Stimme im entscheidenden Moment beispringen konnte.

Auf der anderen Seite grenzen sich die evangelischen Posaunenchöre damit von allen anderen Blasorchestern, Musikschulen und Militärkapellen dieser Welt ab (was Johannes Kuhlo übrigens als Nebeneffekt durchaus gelegen kam - die Posaunenchorbläser sollten sich ganz auf ihre christliche Mission besinnen und sich auf keinen Fall der weltlichen Musik zuwenden).

Auf den Punkt gebracht ergibt sich folgendes Problem: Will der Posaunenchortrompeter mit einem Musikschultrompeter zusammenspielen oder aus den Noten einer Feuerwehrkapelle mitspielen, muss er transponieren. Ebenso geht es dem Musikschüler oder dem Militärmusiker, der mit einem Posaunenchor zusammenspielen möchte. Leider finden deshalb nur wenige Bläser, die in Musikschulen sicherlich gut und professionell ausgebildet werden, den Weg in einen Posaunenchor. Bläser, die in Posaunenchören ausgebildet wurden, können ebenfalls nicht ohne weiteres in einer Schulband oder einem Musikschulorchester die Noten vom Blatt abspielen.

Welche Spiel-/Schreibweise die richtige oder bessere ist - hier scheiden sich heute die Geister. Eine einzige gültige Wahrheit gibt es sowieso nicht. Wichtig ist, dass die Musik Menschen vereint und ihnen Freude bereitet. Musik ist eine Weltsprache, über alle geografischen, politischen und religiösen Grenzen hinweg. Nachweislich beeinflusst die Ausübung von Musik die Entwicklung, das Sozialverhalten und den Geist unserer Kinder und Jugendlichen positiv. Bleibt zu hoffen, dass auch weiterhin in diesem Sinne die Musik selbst im Vordergrund steht.